SLS schafft neues Designpotenzial in der Medizintechnik
Die Technologie des Lasersinterns ermöglicht Medizintechnik-Designern, innert kurzer Zeit Kunststoffobjekte für Machbarkeitsstudien zu drucken. Die funktionalen Prototypen weisen weitgehend die gleichen Eigenschaften auf wie Spritzgussteile. Die EEM AG geht einen Schritt weiter: Sie macht einen Spagat zwischen der Herstellung von Prototypen und Kleinserien.
„Die Wirbelsäule ist der Schlüssel zur Gesundheit“ – an dieses 2000 Jahre alte Zitat von Hippokrates erinnert uns Cyrill Aemisegger, Verantwortlicher für Entwicklung, Technik und Produktion bei der EEM AG: „Dort packen wir an.“ Das junge Unternehmen produziert unter der Marke grow concept verschiedene gesundheitsfördernde Produkte, die zu Hause, in der Therapie oder am Arbeitsplatz das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit steigern. Neben einem Soundsystem mit beruhigender Musik und entspannungsfördernden Duftaromen hat EEM als Flaggschiff einen patentierten Spezialstuhl entwickelt, der innert zehn bis 20 Minuten mit einem innovativen Verfahren den Rücken entspannt.
Spezialstühle für Extensionstherapie
Dass hier Wasser in der Wüste verkauft wird, liegt auf der Hand. Rückenbeschwerden sind eine der wichtigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit. In Deutschland hat beispielsweise beinahe jeder dritte Erwachse öfter oder ständig Rückenbeschwerden. Insgesamt sind diese für rund einen Viertel aller Arbeitsunfähigkeitstage verantwortlich. Doch die Dunkelziffer ist hoch, auch bei anderen Leiden kann die Ursache bei einer ungesunden Körperhaltung liegen. Etwa bei Augenleiden, Arthritis, Fussbeschwerden oder Schlafstörungen.
Abhilfe schafft die sogenannte Extensionstherapie, die auf spezifisch dafür entwickelten und automatisch verstellbaren Entlastungsstühlen erfolgt. Wir befinden uns im EEM-Showroom in Sulgen, einem Dorf im Kanton Thurgau, das von grünen Weiden, alten Apfelbäumen und Weinreben umgeben ist – einem Ort, an dem man nicht gerade an Rückenschmerzen denkt. Cyrill Aemisegger erklärt: „Anstatt Schmerzmittel einzunehmen, packen die grow chairs das Gesundheitsproblem bei seinen Wurzeln an.“
Durch die tägliche Belastung schrumpft unsere Wirbelsäule im Verlauf des Tages je nach körperlicher Betätigung jeweils um bis zu drei Zentimeter. Die Behandlung auf dem grow chair sorgt dafür, dass sich das Rückgrat wieder ausdehnt – mit positiven Nebeneffekten, welche die Regeneration des Körpers fördern: Die Nerven werden beruhigt und Stress wird abgebaut. «Es fühlt sich an wie bei einem Kurzurlaub zwischendurch», sagt Cyrill Aemisegger. Und das Feedback sei äusserst positiv: Von den grow chairs haben sich bereits mehrere hundert Exemplare im Einsatz bewährt.
Entspannung in Schräglage: Ob mit Nussbaumholz für zu Hause oder mit glatter Oberfläche für die medizin-zertifizierte Anwendung, der grow chair gibt es in den drei Ausführungen grow private, grow medical und grow office. (Bilder: EEM)
Über 20 gedruckte Teile pro Stuhl
Um möglichst ohne Umwege Komponenten mit beliebiger Geometrie herstellen zu können, setzt EEM seit Entwicklungsbeginn der drei grow chair-Modelle auf die Technologie des selektiven Lasersinterns (SLS). Insgesamt über 20 funktionale Objekte pro Entlastungsstuhl werden mittlerweile im 3D-Druck-Verfahren hergestellt. Zwar befinden sich die Stühle noch in einem fortgeschrittenen Prototypenstadium. Doch in den bis anhin produzierten Exemplaren walten die 3D-gedruckten Objekte nicht als Platzhalter für Spritzgussteile der künftigen Grossserie, sondern sind voll funktionstauglich. Denn sie weisen weitgehend die gleichen mechanischen und optischen Eigenschaften auf. In Kombination mit der Möglichkeit, gedruckte Teilegeometrien schnell ändern zu können, erweist sich das Verfahren für die aktuelle Kleinserienfertigung als effizienteste Produktionsvariante. Damit macht das Ostschweizer Unternehmen einen Spagat zwischen der Herstellung von Prototypen und Kleinserien.
Neben 16 mobilen Schutzabdeckungen werden die Elektronik-Schutzfassung, die Halterung für die Fernbedienung und das clevere Schnellverschluss-System für die austauschbare Nackenstütze lasergesintert. Bezeichnend: Die Halterung für die Fernbedienung steht als Design-Element mit einer modern erscheinenden Haptik stark im Vordergrund.
Frei von der Leber konstruiert, optisch und haptisch einwandfrei: Die am grow chair angebrachte 3D-gedruckte Halterung für die Fernsteuerung.
FFF und SLA erfüllten Anforderungen nicht
Cyrill Aemisegger, gelernter Polymechaniker, kennt sich mit den konventionellen Fertigungsmethoden perfekt aus. Da er beispielsweise für die Elektronik-Abdeckung keinerlei brauchbare Standardteile finden konnte, entschied er sich dafür, bestimmte Komponenten selber zu fertigen. Für diese Spezialkomponenten zog er das CNC-Fräsen aufgrund dessen eingeschränkten Agilität nicht in Betracht und schaute sich 2017 nach einer effizienten Lösung um, die sich für die Fertigung dieser Komponenten am besten eignet.
Als Cyrill Aemisegger die verschiedenen 3D-Druck-Verfahren genauer studierte, bemerkte er, dass seine Anforderungen hoch waren. So kam für ihn die FFF-Technologie (Fused Filament Fabrication) wegen den Stützstrukturen nicht in Frage (auch bekannt als FDM: Fused Deposition Modeling). Der Entwicklungsleiter erklärt: „Das damit verbundene Post-Processing wäre mir zu aufwendig gewesen.“ Auch das SLA-Verfahren (Stereolithografie) entsprach nicht seinen Anforderungen. Vor allem, weil die damit gedruckten Teile mechanisch zu wenig belastbar wären und aufwendig nachbearbeitet werden müssten. Und da ein SLS-System der oberen Preisklasse für ein Kleinunternehmen wie EEM schlicht zu teuer ist, stiess er schnell auf die erschwingliche «Sintratec S1».
Hätte Cyrill Aemisegger die erwähnten Kunststoffteile als Spritzgussaufträge ausgelagert, wäre die Produktion nicht nur viel kostenaufwendiger, sondern auch viel zeitintensiver ausgefallen. «Dank der SLS-Technologie erhalten wir umgehend Resultate und können dadurch unsere Entwicklungsprozesse beschleunigen», sagt der Technik-Verantwortliche.
Das Schnellverschluss-System der Nackenstütze demonstriert die Essenz des Lasersinterns: Diese Konstruktion zweier ineinander gedruckten Teile, die bewegbar sind, wäre weder mit einem konventionellen Fertigungs- noch mit einem anderen erschwinglichen 3D-Druck-Verfahren realisierbar.
Exemplarische Essenz von SLS
Das selektive Lasersintern bietet für Konstrukteure und Ingenieure faszinierende «verfahrenseigene» Möglichkeiten, die komplett neuartige Designs möglich machen. Ein Beispiel dafür ist das Schnellverschluss-System für die Nackenstütze, das durch eine kleine, aber feine Genialität besticht: Die Konstruktion zweier ineinander gedruckten und beweglichen Teile wäre weder mit einem konventionellen Fertigungs- noch mit einem anderen der erschwinglichen 3D-Druck-Anlagen realisierbar. Der Vorteil dieser Konstruktion: Mit der montierten Feder wird auf elegante Weise zusätzlich die Verschlussfunktion erfüllt. „Dank der SLS-Technologie können wir komplexere Designs realisieren und diese exakt auf ihre Funktion auslegen, fährt Cyrill Aemisegger fort.
Der Einsatz der Sintratec S1 hat das Engineering bei EEM beträchtlich beeinflusst. „Seit die Sintratec S1 bei im Einsatz ist, konstruieren wir viel funktionsorientierter“, resümiert Cyrill Aemisegger. «Die Sintratec S1 ist bei uns Tag und Nacht im Einsatz und in unserer Produktion nicht mehr wegzudenken.»