Personalisiert und 3D-gedruckt: Unsere künftigen Medikamente
FabRx ist die weltweit erste Forschungsgruppe, die das selektive Lasersintern für die Herstellung von Medikamenten einsetzt. Dank der pionierhaften Arbeit des Spin-outs der University College London werden Medikamente in Zukunft 3D-gedruckt.
Am Flughafen Heathrow nehmen wir die Piccadilly Line und fahren zum Russel Square. Im Universitätsquartier, das sich inmitten von Central London befindet, reihen sich Pubs und Studentencafés aneinander. Es ist sonnig und ruhig als wir uns zur UCL - School of Pharmacy begeben, die zum University College London (7. Platz im QS World University Ranking) gehört. Fabrizio Fina erwartet uns im weissen Laborkittel. Der aus Italien stammende Apotheker führt uns in ein sauber aufgeräumtes Forschungslabor im zweiten Stock, das mit diversen 3D-Druckern ausgestattet ist: Eingesetzt wird selektives Lasersintern (SLS), «Semi-solid»-Extrusionsverfahren (SSE), Stereolithografie (SLA) und Fused Deposition Modeling (FDM) respektive Fused Filament Fabrication (FFF). Der in Pharmazeutik Promovierende arbeitet in Kooperation mit FabRx an der Entwicklung von «Printlets», diesen 3D-gedruckten Tabletten der Zukunft. Seine frühere Anstellung in einer Apotheke in den Abruzzen hat Fabrizio wegen mangelnder Herausforderung gekündigt.
Neues Forschungsfeld dank SLS
Im Labor füllt Fabrizio das Pulvermaterial in den Bauraum eines SLS-Druckers (Sintratec Kit) und startet Sintratec Central, die Benutzersoftware. Er wirkt routiniert, jeder Handgriff sitzt. Schon 2015, während seines Masterstudiums am UCL, hat er sich an einem Forschungsprojekt betätigt, das sich mit dem FDM-Druck von Tabletten befasst hatte. Wir sind erstaunt, wie schnell er drei Printlets, bestehend aus einer Mischung pharmazeutischer Polymeren, einem Wirk- (Paracetamol) und einem Farbstoff, gedruckt hat. In 20 Minuten drucke er 20 Tabletten, erwähnt er nebenbei und beginnt zu erzählen: «Die SLS-Technologie birgt ein riesiges Potenzial. In nur zwei Jahren haben wir damit aussergewöhnliche Resultate erzielt. Das Sintratec Kit hat uns ein neues Forschungsfeld eröffnet».
Fabrizio Fina
Vor zwei Jahren haben die ersten mit SLS gedruckten Printlets mit nur pharmazeutischen Komponenten gezeigt, dass die integrierten Wirkstoffe sich während des Sinterprozesses nicht zersetzten – wie zuvor fälschlicherweise angenommen. Nach dem Lasersintern blieben die Wirkstoffe sogar zu 100 Prozent erhalten. Damit wurde ein Meilenstein erreicht. Fabrizio erinnert sich: «Wir waren überrascht und realisierten, dass wir auf Basis dieser Erkenntnis viele andere Wirkstoffe evaluieren und dank der Präzision des Lasers innovative Formen drucken könnten.» Das anfangs nur zu Testzwecken angeschaffte Sintratec Kit half dabei mit, die Forschungsmöglichkeiten stark zu verbreitern und die Innovation voranzutreiben.
Lasersintern von Medikamenten
Fabrizio hat soeben einen neuen Druckjob mit 400 mm/s, einer relativ hohen Lasergeschwindigkeit, gestartet, mit dem Ziel, schnell zersetzende Tabletten zu drucken. Während des Sinterprozesses verbinden sich die Pulverpartikel an ihren Oberflächen. «Necking» bezeichnet man diese Art von Verbindung, die poröse Strukturen generiert. Anders als bei herkömmlichen Herstellungsverfahren, bei denen Tabletten durch herkömmliche Pulverpressung hergestellt werden, erfordert SLS keine Kompression. Aufgrund der porösen Struktur kann Wasser leicht in das Printlet eindringen und die Pulverpartikelverbindungen innerhalb von Sekunden auflösen.
Mit einem Lächeln erwähnt Fabrizio: «Wir streben das Gegenteil von klassischen 3D-Druck-Anwendungen im Engineering-Bereich an, wo Robustheit gefragt ist. Wir machen Medikamente und möchten, dass unsere Materialien brechen oder sich zersetzen – im Magen-Darm-Trakt oder im Mund mit einem Schluck Wasser.» Solche Eigenschaften sind im Pharmabereich höchst erwünscht. Konventionelle Tabletten brauchen normalerweise zwischen 30 und 60 Sekunden, um sich zu zersetzen. SLS ermöglicht schnellere Zersetzungszeiten und steht hier im Vorteil gegenüber traditionellen Herstellverfahren.
Eine sich schnell zersetzende Tablette: Von der Berührung mit dem Wasser bis zum Stadium rechts dauert es weniger als drei Sekunden.
Forschungsspielraum dank offener Parameter
Grossen Forschungsspielraum verleihen den Akademikern die offenen Parameter des Sintratec Kit. Fabrizio erklärt: «Durch das präzise Verändern der Druckparameter und/oder der Zusammensetzung der Pulvermischung können wir die Zersetzungsdauer der Tablette je nach Bedarf personalisieren.» Diese könne zwischen ein paar Sekunden und 24 Stunden oder im Spezialfall bis zu mehreren Tagen liegen.
Um die Auflösungsdauer weiter zu reduzieren, entwickelte Fabrizio Printlets mit Gitterstrukturen. Aufgrund ihrer grossen Gesamtoberfläche zersetzen sich die Printlets mit Gyroid-Struktur (ein Gittertyp) viel schneller als jene mit zylindrischer Form. Solche komplexen Strukturen wären mit herkömmlichen Produktionstechnologien unmöglich herstellbar. Und unter den SLS-Druckern eignet sich das Sintratec Kit für die Anwendungen im Labor insbesondere durch seine Auslegung: „Ein SLS-Drucker mit starkem Laser könnte Wirkstoffe abbauen und ein grosser Bauraum wäre für uns ungünstig in puncto Materialaufbereitung und -handling.“
Sinterprozess: FabRx druckt Printlets mit Bauraumtemperaturen von 325° bis 130° C und mit Lasergeschwindigkeiten von 50 bis 500 mm/s.
Um eine thermische Zersetzung der Materialien zu vermeiden, muss die Prozesstemperatur so niedrig wie möglich sein. Eine Besonderheit des Sintratec-Kit liegt in dessen Möglichkeit, bei Raumtemperatur zu arbeiten. FabRx hat mehrere Polymere evaluiert, die das Sintern unter diesen gewünschten Bedingungen ermöglichen. Diese Prämisse hat in der Praxis einen angenehmen Nebeneffekt: Zum Beispiel ist die Aufwärmzeit des 3D-Druckers kurz oder gar nicht vorhanden, und die 3D-Druckobjekte können – ohne Abkühlzeit – sofort entpulvert werden.
Polypillen mit mehreren Wirkstoffen
Nach dem Lunch begibt sich Professor Simon Gaisford, Head of Pharmaceutics am University College London und Mitgründer von FabRx, ins Labor und erklärt seine Vision über die Sintratec-Technologie: «Das selektive Lasersintern kreiert ein grosses Potenzial in der Pharmaindustrie. Damit können Tabletten ohne Bindemittel (wie sie das Binder-Jetting-Verfahren einsetzt) hergestellt werden.» Das sei ein wichtiger Vorteil, da diese Bindemittel mit den Wirkstoffen thermisch reagieren könnten.
Insbesondere bei sogenannten Polypillen, also Tabletten mit mehreren Wirkstoffen, bietet die SLS-Technologie signifikante Vorteile. Zum Beispiel ist es für Patienten bequemer, eine Polypille pro Tag einzunehmen statt mehrerer Einzeltabletten. Professor Gaisford spricht einen weiteren Punkt an: «Aus Wirtschaftlichen Gründen schenkt die Pharmaindustrie der Produktion von Medikamenten für kleine Patientengruppen weniger Aufmerksamkeit.» Mit individualisierten 3D-Druckverfahren werden personalisierte Medikamente für wenig erforschte oder seltene Krankheiten, für kleine Patientengruppen oder für Kinder und ältere Menschen nun viel einfacher herstellbar. Für diese Zielgruppen können Wirkstoffe gemäss Behandlungsvorschriften exakt dosiert werden. Dies würde das Problem von den in den Apotheken nicht erhältlichen Zwischendosierungen lösen.
Professor Simon Gaisford
SLS als Zugpferd der Forschung
Als FabRx 2017 das erste Sintratec Kit in Betrieb nahm, dauerte es nur wenige Wochen, bis damit erste Printlets gedruckt wurden. Nach ersten erfolgreichen Forschungsergebnissen erfolgten seit 2017 diverse Forschungspublikationen und die Veröffentlichung eines akademischen Buchs. Im FabRx-Labor wurde das Sintratec Kit schon früh zu einem der favorisierten Forschungswerkzeuge. Professor Gaisford: «Das Sintratec Kit ist ein sehr robustes System und wirklich einfach zu bedienen. Da wir damit viele neue Produkte entwickeln konnten und kontinuierlich neue Forschungsideen aufkommen, haben wir ein zweites Sintratec Kit installiert.» Beide SLS-Drucker sind täglich in Betrieb.
In Zukunft will FabRx in Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie ein alternatives 3D-Drucksystem für die Massenproduktion entwickeln. Fabrizio verrät uns: «Wir suchen jetzt nach anderen Formeln, die den Unterschied machen werden.» Sollten die SLS-3D-Drucker es jemals in die Apotheken schaffen, könnte der 3D-Druck-Spezialist erwägen, in die Apotheke zurückzukehren. So oder so, SLS wird das Gesundheitswesen mit neuen Form(l)en revolutionieren.
Ob zweischichtig, mit Loch oder komplexer Struktur: FabRx produziert in den verschiedensten Formen.
“SLS wird künftig in der Pharmaindustrie eine wichtige Rolle einnehmen.”
Fabrizio Fina
Doktorand an der School of Pharmacy in London und 3D-Druck-Experte bei FabRx